
Kennen Sie die Geschichte der Gouvernementalität? Sie beginnt im 16. Jhd. und bezeichnet eine spezifische Regierungsweise. Mit dem aufkommenden Bürgertum mussten immer größere, feiner ausdifferenzierte Bevölkerungen verwaltet werden. Regierung funktionierte nicht mehr über den qua Geburt festgelegten Stand und den Souverän, der die Ordnung mit brutaler, physischer Gewalt herstellen konnte. Deutlich effizienter wurde es, wenn die Subjekte sich selbst regieren, bilden und arbeiten, die Disziplin verinnerlichen und ihre Ressourcen beisteuern. Formen der Regierung des Selbst und der Anderen veränderten sich und nicht zuletzt Kindbilder und Kindheiten.
Die zweite Geschichte handelt von der Coronapandemie. Das Eindrücklichste an ihr war für mich die in der bundesdeutschen Geschichte beispiellose Anpassungsleistung von Politik, Medien, Wissenschaft und Bevölkerung und in diesem Rahmen möchte ich hinzufügen: der Professionen. Die Dominanz eines Themas, in unbekanntem Ausmaß und Dauer.
Hier ein illustrierendes Zitat von Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts
Für Politiker und öffentliche Institutionen ist die Rede von Alternativlosigkeiten und allein gültigen Wahrheiten ‚normal‘. Aber wie kommt es, dass auch die überwiegende Mehrheit der Medien und der Bevölkerung allen Maßnahmen zustimmten, von denen heute nicht wenige als Fehler und manche gar als „Exzesse“ eingestanden werden müssen? Diese hatten drastische Folgen für die Menschen, für die wir in der Sozialen Arbeit das Mandat haben, insbesondere Kinder und Jugendliche. Wer die Maßnahmen damals kritisierte oder eben hinterfragte, traf auf harte Diffamierung.
Das Bindeglied mit dem ich hoffe, beide Geschichten verbinden zu können, ist eine Diskursanalyse. Diskursanalysen zielen darauf ab, die Genese und Geltung eines bestimmten Wissens und einer bestimmten Ordnung zu beschreiben.
Ich entwickele eine Typologie der Gouvernementalität, die als Werkzeugkasten dienen soll für eine Untersuchung der „Regierung“ (in diesem Sinne) der Coronazeit, mit dem Fokus auf Kindheiten in der Pandemie. Es ist der Versuch, die Bedingung der Möglichkeit zu analysieren für diese Anpassungsleistung, die nach der gouvernementalen Logik vielleicht doch nicht so außer-ordentlich war.