Band I: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung
1. und 2. Vorlesung
eine Kernaussage:
Die Gesellschafts-/Regierungsformen:
Souveränmacht, Disziplinarmacht, Sicherheitsmacht
(wahlweise ersetzbar mit -gesellschaft/-dispositiv/-regierung)
sind nicht ausschließlich zu verstehen, so dass sie scharf voneinander abgegrenzt werden können in dem Sinne, ein Element, das sich bei der einen findet, kann bei der anderen nicht vorkommen.
Elemente der Souveränmacht finden sich auch in späteren Formen und Element der späteren moderneren Formen finden sich schon in der Souverängesellschaft und so ist es auch mit anderen Elementen.
Dass bspw. Elemente der Disziplinargesellschaft schon in der Souveränmacht auftauchen und die Sicherheitsgesellschaft große Ähnlichkeit mit der Disziplinargesellschaft aufweist, ist kein Argument, um die Foucaultschen Gesellschaftstheorien insgesamt als nicht fruchtbar oder unhaltbar beiseite zu legen.
Entscheidend ist, dass jede dieser Formen einen anderen Schwerpunkt hat, sie lassen sich spezifisch charakterisieren, es geht um die Elemente, die noch dazu kommen, die „plötzlich“ eine andere oder größere Bedeutung bekommen – es geht bei Foucault immer um Relationen und die Dynamik und Verschiebungen, die innerhalb der Relationen passieren.
Im Sicherheitsdispositiv verschiebt sich der Fokus im Vergleich zur Disziplinargesellschaft noch stärker und umfassender auf den Wert der Freiheit, das Ideal des Liberalismus, jedoch nach wie vor auf den Grundlagen der Maximen der Produktivität, des Profits, der Sicherheit/Kontrolle. Die immer größer werdende Komplexität erfordert jedoch einen anderen Umgang mit der Vorstellung der Planbarkeit, Berechenbarkeit. Größen wie Wahrscheinlichkeiten, Zufälle, Störfaktoren werden immer stärker einbezogen.
Kräfte sollen frei spielen, zirkulieren können und somit nutzbar gemacht werden können. Das Blockieren und Zurichten von Kräften erweist sich in den modernen Gesellschaften zunehmend als kontraproduktiv, zu statisch, unflexibel. Die gemeinsame Knowledge-Base nutzen statt Brain-Drain, inclusion, trust and comittment statt Zwang, Gehorsam und Unterwerfung, um unsere Ressourcen und Kompetenzen zu erschließen.
Die Vermeidung groben Zwangs oder gar physischer Gewalt stattdessen die Bedeutung symbolischer Manipulationen, Verinnerlichung der Disziplin und die Anonymisierung der Macht, absteigende Individualisierung waren alles schon Kennzeichen in der Disziplinargesellschaft. Sie sind nicht erst in der Sicherheitsgesellschaft entstanden, in dieser jedoch immer weiter verfeinert worden.
Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität: I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung und II. Die Geburt der Biopolitik