Was ich an diesem schon etwas älteren Sketch besonders gut finde, ist, dass er illustriert, dass es keine Verschwörungstheorie braucht und vermutlich auch in der Realität, in gesellschaftlichen Prozessen nicht wirklich geben kann. Er illustriert, was ich mit den Begriffen von Norbert Elias beschreiben möchte als Interdependenzketten, als Verflochtenheiten, die sich aus nichts anderes als Verflochtenheiten entwickeln und die sich aufgrund des Beharrungsstrebens und -vermögens von sozialen Systemen stabilisieren.
Früher wären solche Analysen als kritische Sozialwissenschaft hochanerkannt gewesen, heute werden sie als Angriffe von Gesellschaftsfeinden kriminalisiert oder als lachhafte Wahnvorstellungen von Verschwörungsttheoretikern disqualifiziert. Was bei Foucault Wahnsinn und Gesellschaftsfeind war, ist im aktuellen Diskurs Verschwörungstheorie und Querdenker.
Im Ausnahmezustand und im Umbau unserer Demokratie kann keine Meinungs- und Diskursvielfalt mehr gestattet werden.
Meines Erachtens ist die Vorstellung eines oder mehrerer Individuen, die einen Plan (Verschwörung) schmiedeten und anschließend liefe alles mehr oder weniger nach diesem Plan, genauso eine falsche Vereinfachung realer, komplexer Prozesse wie die Vorstellung, die derzeit vorzuherrschen scheint, dass Entscheidungsträger und Machthaber nicht ihre Einzelinteressen vorantrieben, sondern im Sinne des Gemeinwohls handeln.
Bei Michel Foucault wie bei Norbert Elias1 findet sich eine Abgrenzung zu Vorstellungen, die eine Art metaphysischen Geist oder eine geplante Ordnung implizieren, ebenso wie zur Vorstellung eines autonomen, rationalen Individuums.2 Prozesse können nach beider Theorien nicht geplante ‚Verschwörungen‘ einzelner Individuen sein.
Nach Elias sei „die Eigengesetzlichkeit gesellschaftlicher Verflechtungserscheinungen“ weder Ergebnis „individuellen Denkens und Planens“ noch einer „Art von überindividuellen ‚ Geist‘“ wie sie unter anderem von Hegel interpretiert worden sei. (PdZ, II, 314 f.)
Stattdessen will Elias „bei jedem geschichtlichen Gebilde nach seiner Genese“ fragen (PdZ, I, LXXVII), also das betreiben, was Foucault als Genealogie bezeichnet: Ein machtkritisches Verfahren, das sich für die „kontingenten Anfänge, die ‚Entstehungsherde’ (Nietzsche) einer Institution oder eines Wissens interessiert“.3 Bei beiden findet sich die Vorstellung der Kontingenz historischer Phänomene: Sie sind kontingent, d.h. auch anders möglich, aber nicht beliebig (unvermittelter Wechsel ohne Ordnung), und eben zu dieser Ordnung will die Genealogie vordringen.
Das Anliegen des genealogischen Blicks ist zweierlei:
Das Bewusstsein dieser Verflochtenheit, der komplexen Entstehungshintergründe zu schaffen und somit zum einen „Phänomene ihrer scheinbaren Natürlichkeit und Gegebenheit [zu] entkleiden“.4
Andererseits sollen Phänomene ebenso wenig als Produkte individueller Subjekte aufgefasst werden. Das genealogische Subjekt, Individuum, kann keine verallgemeinerbare „Totalität, Kohärenz und Sinn seiner Handlungen (...) garantieren, eine Aufgabe, die in Foucaults Theorie der Diskurs (...) übernimmt“5, in Elias Theorie die „Figurationen“ (PdZ, I, X). Diskurse sind „überindividuelle, subjektlose Operationen und lassen sich nicht zurückführen auf intentionale Absichten eines sprechenden oder handelnden Subjekts.“6 (Siehe dazu weiter oben: Die Ordnung oder Gesetzlichkeit, die Elias im Zivilisationsprozeß erkennt, sei kein Ergebnis „individuellen Denkens und Planens“.) Sie sind jedoch „Materialitäten generierende Praktiken“, die somit „soziale Realität“ konstruieren.7 Als Figurationen bezeichnet Elias „das Geflecht der Angewiesenheiten von Menschen aufeinander, ihre Interdependenzen, (...) das, was sie aneinander bindet.“ (PdZ, I, LXVII)
1 Deren Theorien – in Elias‘ Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen sowie in Foucaults Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisse – waren Gegenstand meiner Masterthesis.
Kurzbelege im Folgenden aus diesen Werken, vollständige Quellenangabe hier
2 In seiner Zusammenfassung zu seiner „Theorie der Zivilisation“ macht Elias eine zentrale Aussage: „In der Tat weist nichts in der Geschichte darauf hin, daß diese Veränderung ‚rational‘, etwa durch eine zielbewußte Erziehung von einzelnen Menschen oder einzelnen Menschengruppen durchgeführt worden ist. Sie vollzieht sich als Ganzes ungeplant; aber sie vollzieht sich dennoch nicht ohne eine eigentümliche Ordnung.“ (PdZ, II, 313)
3 Vgl. Clemens Kammler, Rolf Parr; Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.) (2008): Foucault-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: J.B. Metzler.
4 Vgl. Sarasin, Philipp (2016): Michel Foucault zur Einführung. 6., ergänzte Aufl. Hamburg: Junius. S. 23.
5 Vgl. Kammler et al., a.a.O. S. 186.
6 Vgl. Ebd. S. 196.
7 Vgl. Ebd.