Selektives Denken und Selektives Sein
"Man muß vermeiden, aus der ewigen Wiederkunft eine Rückkehr des Gleichen zu machen. (…)
Nietzsches Geheimnis ist, daß die ewige Wiederkunft selektiv ist. Und doppelt selektiv."
Als selektives Denken „gibt [sie] uns ein Gesetz für die Autonomie des von aller Moral befreiten Willens: was immer ich will (meine Faulheit, meine Schlemmerei, meine Feigheit, meine Laster wie meine Tugend), ich „muß“ es so wollen, als ob ich auch seine ewige Wiederkunft wollte. (…) Selbst Feigheit und Faulheit, die ihre ewige Wiederkunft wollen, wären etwas anderes als Feigheit und Faulheit: sie würden aktiv werden und zu Mächten der Bejahung."
Selektives Sein:
„Die ewige Wiederkunft muß mit einem Rad verglichen werden; aber die Bewegung des Rades ist mit einer zentrifugalen Kraft ausgestattet, die alles Negative zur Seite schleudert. Da das Sein sich im Werden bejaht, vertreibt es aus sich alles, was der Bejahung widerspricht, also alle Formen des Nihilismus und der Reaktion: schlechtes Gewissen, Ressentiment (...)“
Die Gefahr, dass in der ewigen Wiederkunft doch auch das Leid, der Schmerz, das Ressentiment, alle nihilistischen Kräfte wiederkehren, wird auf diese Weise gebannt. „Wie kann das, was negativ und nihilistisch ist, wie kann das Negative zurückkehren, wenn die ewige Wiederkunft sich als die Bejahung von Werden und Handeln begreift?“
| Als Bewusstheitsübung über den Tag verteilt sich die Frage stellen: Will ich das, was ich tue, so, als ob ich seine ewige Wiederkunft wollte? Oder als tägliche Übung, beispielsweise in einem kleinen Ritual, sich den Satz sagen: Was war, soll sein, was ist, soll sein, was wird, soll sein. Ja, so will ich es! |
"eine aus der Fülle, der Überfülle geborne Formel der höchsten Bejahung, ein Jasagen ohne Vorbehalt, zum Leiden selbst, zur Schuld selbst, zu allem Fragwürdigen und Fremden des Daseins selbst … Dieses letzte, freudigste, überschwänglich-übermütigste Ja zum Leben"
(Zitate aus Gilles Deleuze (1979): Nietzsche. Ein Lesebuch. Merve Verlag Berlin. S. 38ff und S. 78)
In der indischen Philosophie/Spiritualität begegnet man ebenfalls dieser "Formel der höchsten Bejahung". Und auch hier der zweifachen Bewegung, zum einen in der Form des selektiven Denkens:
Um die Ergebnisse zu beeinflussen, brauchen Sie die Ursachen nicht zu kennen. (…) Sind Sie nicht die Quelle und das Ende von jedem Geschehnis?
Sie sind so verwirrt, weil Sie glauben, in dieser Welt zu sein und nicht die Welt in Ihnen. (…) Sie haben diese Welt erschaffen, und nur Sie können sie ändern.“
Sri Nisargadatta Maharaj(2014): ICH BIN. 10. Aufl. Bielefeld: J. Kamphausen.
Zum anderen in der Form des selektiven Seins:
„Anstatt die Dinge so zu sehen, wie wir sie uns vorstellen, lernen Sie, sie so zu sehen, wie sie sind. Wenn Sie alles sehen können, wie es ist, werden Sie auch sich selbst sehen, wie Sie sind. Es ist, als ob man einen einen Spiegel reinigt. Derselbe Spiegel, der Ihnen die Welt zeigt, wie sie ist, wird Ihnen auch Ihr eigenes Gesicht zeigen.“
Spezifisch und berühmt für diese Formel der höchsten Bejahung in der zweifachen Bewegung oder Selektion ist die Stoa, die stoische Philosophie. Die Stoa und die indische Spiritualität zusammengebracht habe ich in ein paar Zitaten hier.
Und ein letzter Hinweis noch auf Camus' Essay "Das Glück des Sisyphos", von Annemarie Pieper wunderschön in Bezug auf Nietzsches "Ewige Wiederkehr" interpretiert, hier ein Auszug.