Gedanken zum allseitigen Solidaritätsaufruf und zum Argument, dass wir mehr "Bienenstaatmentalität" brauchen:
Ich finde es unsolidarisch, dass in meiner Arbeit sich bereits 7 Leute krank gemeldet haben (im übrigen einige Kolleginnen, die am lautesten "Solidarität" gerufen haben, auf Jogger im Park geschimpft haben, es aber selbstverständlich finden, dass sie ihre Hunde weiter ausführen dürfen), das ist die Hälfte des Teams (und ganz sicher nicht, weil sie alle Corona haben) und ich finde es solidarisch von mir, dass ich nicht sage, huh, das erhöht meine Ansteckungsgefahr, ich bleibe zuhause, sondern meinen Dienst antrete.
Ich finde es schon gut, dass viele Leute viel zuhause bleiben und dass alle Leute viel mehr zuhause bleiben, als sie es sonst tun würden. Für Menschen, die seelisch und körperlich gesund sind und gerade keine so "systemrelevanten" Jobs haben, sollte das für eine begrenzte Zeit gut möglich sein. Für Menschen, die ohnehin nicht so gesellig sind, ist es vermutlich nicht mal so schwer. Aber es gibt viele Leute, für die ist die Sitution eine Katastrophe, z.B., siehe unten ab ***.
Ich finde es solidarisch, dass es weiterhin Leute gibt, die sich um diese Menschen kümmern und ihren Dienst tun, einschließlich mir. Ein Menschenstaat ist eine sehr komplexe Sache und ich nehme an, dass es ein paar Kompetenzen, Funktionen und Lebensentwürfe mehr braucht als in einem Bienenstaat, um ihn am Laufen und lebenswert zu erhalten. Ich halte mich für vergleichsweise tolerant auch unüblichen Lebensentwürfen gegenüber (die in einem Bienenstaat womöglich keinen Bestand hätten) und ich will mich darum bemühen, in meinem Urteil vorsichtig zu sein. Darauf müssen wir in solch schwierigen Zeiten sicherlich vermehrt achten.
Eine Frage stellt sich mir allerdings bei der #bleibdaheim-Vorgehensweise oder Haltung: Selbst wenn die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden, wesentlich mehr Menschen wieder ihre Arbeit aufnehmen etc., ist das Virus nicht aus der Welt und die Gefahr, dass du dich anstecken könntest, wird es weiterhin geben. Die Argumentation, dass es darum geht, die Erkrankungswelle in die Breite zu dehnen, kann ich recht gut nachvollziehen und denke, das wird wohl sinnvoll sein. Zu versuchen zu vermeiden, dass man jemals den Virus bekommt, halte ich jedoch nicht für gut.
Heute morgen hatte ich zum Thema Tod und Krankheit den Gedanken, vielleicht ist das Virus ein Zeichen, zumindest eine Chance, das Vorlaufen zum Tod wieder mehr in unser Leben aufzunehmen, anstatt wie es in unserer modernen Gesellschaft normal ist, vor Tod und Krankheit bis zum allerletzten und mit allen Mitteln zu fliehen. Wir haben alle Angst vor Krankheit und Tod, ja. Und dennoch werden wir ihnen eines Tages begegnen. Und unter gewissen Umständen (Vorerkrankungen, Alter) halte ich es für die zentrale Entwicklungsaufgabe, sich auf den Tod vorzubereiten und ihn zu akzeptieren.
Persönlich merke ich, dass ich ganz schön am Limit bin mit der Situation, dass mein Sohn 7 Tage die Woche zuhause ist und ich neben der Arbeit zur Privatlehrerin geworden bin (denn die Schulen erwarten ganz klar rund 4 Stunden Heimarbeit und schicken regelmäßig neue Aufgaben). Zum Glück ist L. relativ gut drauf, obwohl ich manchmal denke, er ist schon recht einsam, außer mir und gelegentlich R. sieht er niemanden und das in einer Lebensphase, in der sehr viel passiert und sich Jugendliche eigentlich gegenseitig stützen und stärken.