"Ein künstlich entfachter Antagonismus zwischen Menschenrechten und Menschenleben"
Ich hänge mal einen Ausschnitt aus einem Interview mit Juli Zeh an, in dem sie recht gut auf den Punkt bringt, was ich unter anderem mit meinen Beiträgen sagen möchte.
Zitate:
"Unsere Verfassung verlangt, dass bei Grundrechtseingriffen immer das mildest mögliche Mittel gewählt wird. Auch bei der Abwendung von Gefahren gilt nicht 'viel hilft viel', sondern: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Ansonsten fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, und eine Maßnahme ist dann unter Umständen verfassngswidrig. Das erfordert also, dass man ernsthaft diskutiert, welche Vorgehen tatsächlich sinnvoll sind und welches davon am mildesten wäre. Dabei hätte ein wissenschaftlich fundierter Diskurs aller medizinischer Fachrichtungen zum Beispiel mittels einer Ad-hoc-Kommission helfen können. Stattdessen hat man einzelne prominente Experten zu Beratern gemacht und zugelassen, dass eine eskalierende Medienberichterstattung die Öffentlichkeit und die Politik vor sich her treibt."
"'Alternativlos' ist ein anderer Begriff für 'Keine Widerrede!' und damit ein absolut undemokratisches Konzept. Es gibt immer eine Alternative, und unsere Verfassung verlangt, dass wir die verschiedenen Möglichkeiten abwägen."
"Wir werden als Bürger durch die Rhetorik und das Vorgehen in eine wirklich schwierige Lage gebracht. Die allermeisten von uns verstehen, dass es notwendig ist, etwas gegen das Virus zu unternehmen. Man will vernünftig sein, man will auch Solidarität zeigen gegenüber Risikogruppen, man will nicht das gemeinschaftliche Vorgehen torpedieren. Aber vieles von dem, was passiert, erscheint einem unlogisch, überstürzt, undemokratisch. Dagegen würde man gerne aufbegehren. Aber dann wird einem gesagt, dass man sich schuldig macht an möglichen Opfern, wenn man nicht mitspielt. Das ist ein unnötiges Dilemma, das die Menschen quält: ein künstlich entfachter Antagonismus zischen Menschenrechten und Menschenleben. Wenn man nicht mit Bestrafungsszenarien gearbeitet hätte, sondern lieber darauf gesetzt hätte, durch ein verständliche und nachvollziehbare Strategie Einsicht zu erreichen, hätte man ein viel höheres und wirklich empfundenes Einverständnis der Bürger ermöglicht."
Juli Zeh, "Es gibt immer eine Alternative", Süddeutsche Zeitung Nr. 80, 4./5. April 2020
